Die Signale aus den anderen europäischen Ländern waren indes auch nicht besser. Einige Zentralbanken meldeten „grün“, aber das war eher die Ausnahme. In den Statusmeldungen hatte sich seit Juni abgezeichnet, dass ein Go-live im November zusehend kritischer gesehen wurde. Die Hauptpunkte, die bemängelt wurden, waren die seit Monaten instabile Testplattform, die unüberschaubare Anzahl an Fehlern und Defects sowie das sehr aufwändige Anlegen von Stammdaten im Common Reference Data Management (CRDM). Gerade die großen Banken, die als Co-Manager für ihre indirekten Teilnehmer fungieren, hatten es hier mit einem erheblichen Aufwand zu tun. Die Instabilität der Testplattform war dabei keine Hilfe, und hat unnötigen Aufwand gekostet. Ein weiterer Punkt war die Installation von Go-Sign in der technischen Infrastruktur der Banken, welches für den Freigabeprozess unabdingbar ist und den Zugang zu den neuen Oberflächen der einzelnen T2-Services sicherstellt. Auch dies hat bei Banken zu einem Mehraufwand geführt, der so nicht abzusehen war, insbesondere in Zusammenhang mit verteilten Arbeitsumgebungen (wie sie auch dank Corona mehr Verbreitung fanden bei Banken). Bis Ende 2022 hatten einzelne Banken damit noch zu kämpfen und hatten Go-Sign immer noch nicht installieren und aktivieren können. Viele haben die neugewonnene Zeit nutzen können, um diese Aktivitäten endgültig abzuschließen.
Doch was bedeutet die Verschiebung nun für die Banken und für die EZB? Die Antwort darauf ist nicht eindeutig. Die Reaktionen im Markt waren unterschiedlich. Die großen Banken hätten es gerne gesehen, wenn der Go-live wie geplant stattgefunden hätte, selbst unter dem Aspekt, dass es wohl erheblich gerumpelt hätte. Aber das war man bereit in Kauf zu nehmen. Für andere Banken wäre ein Go-live wohl eher in einer Katastrophe geendet, da abzusehen war, dass die notwendigen Aktivitäten bis zum Go-live nicht abgeschlossen werden konnten. Letztendlich waren jedoch Bedenken hinsichtlich der Stabilität des Eurosystems ausschlaggebend für die Verschiebung. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn beispielsweise der SEPA-Zahlungsverkehr nicht mehr hätte abgewickelt werden können, weil Banken nicht in der Lage gewesen wären, rechtzeitig Liquidität bereitzustellen.
Die EZB hat mit Hochdruck daran gearbeitet, die von den Banken kritisierten Punkte zu verbessern und mit Hotfixes die als kritisch eingestuften Defects zu beheben. Doch das bedeutete für die Banken, dass weiterhin getestet werden musste. Selbst die Banken, die die verpflichtenden Testaktivitäten bereits erfolgreich beendet hatten, konnten sich nicht zurücklehnen und abwarten, sondern haben in ihrem eigenen Interesse weiter getestet. Es hatte sich leider gezeigt, dass sich mit der Auslieferung behobener Defects in der neuen Version jedoch auch neue Fehler eingeschlichen hatten.
Dennoch ist klar, dass nicht alle Fehler und Defects bis zum Go-live behoben sein werden. Banken müssen sich also unbedingt darauf einstellen, dass nicht alles von Anfang an reibungslos funktionieren wird und mit Workarounds gearbeitet werden muss. Doch welche Fehler sind behoben und welche nicht? Auf welchen Workaround muss sich vorbereitet werden? Auch das, so zumindest die Hoffnung der Banken, wird ihnen von Seiten der EZB rechtzeitig mitgeteilt werden. Denn dies ist ein weiterer Kritikpunkt der letzten Monate gewesen: fehlende Kommunikation und Intransparenz.
Ein Damoklesschwert, das über allem hing, war die Go-/No-Go-Entscheidung, die am 22.02.23 getroffen wurde. Auch wenn die Zeichen sich Richtung Go gedreht hatten, gab es trotzdem noch keine Gewissheit, dass es nicht doch noch zu einer weiteren Verschiebung hätte kommen können. Da SWIFT bereits vorher klar kommuniziert hatte, seine eigene Migration nicht noch einmal verschieben zu wollen, hätte sich die Situation ergeben, dass SWIFT einerseits schon auf ISO 20022 migriert hätte, TARGET2 aber weiterhin mit MT-Nachrichten hätte beliefert werden müssen. Dieser Mischbetrieb hätte viele Banken in größere Probleme gebracht, insbesondere solche, die in ihrer Funktion als „Intermediäre“ Zahlungen weiterleiten, da viele Umsetzungen implizit auf eine gleichzeitige Umstellung bauten, und eine Trennung nur mit erneutem Aufwand möglich gewesen wäre.
Auf Seiten von SWIFT hatte man sich in den letzten Monaten intensiv mit dem Umgang von abgeschnittenen Daten, der Data Truncation, beschäftigt. SWIFT hat hier zwar entsprechende Empfehlungen und Regeln erarbeitet, auf die Banken aber trotzdem gut und gerne darauf verzichten können. Einem Compliance-Bereich in einer Bank dürfte die Vorstellung von abgeschnittenen oder sogar gelöschten Daten in einer Zahlungsverkehrstransaktion den Schweiß auf die Stirn treiben. In Zeiten, in denen die Regulatorik immer mehr Einfluss und Auswirkung bei den Banken hat, ist dieses Szenario undenkbar. Aber leider ist es Realität, dass genau das passieren kann, besonders in der Anfangsphase, wenn sich alle Teilnehmer an die neue Realität gewöhnen müssen.
Fazit ist, dass sich die T2/T2S-Konsolidierung als genauso komplex herausgestellt hat, wie von Anfang an befürchtet worden war. Die Anzahl der Banken, die die Umstellung bewerkstelligen müssen, ist enorm und mit dem Eurosystem ist der sensibelste Bereich überhaupt betroffen. Grund, mit Zuversicht auf den Umstellungstermin zu blicken, ist dennoch angebracht. Die letzten Monate haben den Banken wieder mehr Vertrauen gegeben, da die eingeleiteten Maßnahmen der EZB die Zuversicht gesteigert haben. Es gilt auch zu bedenken, dass mit einem Go-live die Aktivitäten nicht abgeschlossen sein werden, sondern die Banken direkt weitermachen müssen – für Juni ist bereits das nächste Release seitens des Eurosystems angekündigt. Also keine Verschnaufpause für die Banken, sondern es geht unverändert und mit hohem Druck weiter, die nächsten Themen stehen auch schon vor der Tür.
Sabine Aigner
Thomas Ambühler