Hand aufs Herz, wenn wir in unserer Branche das Wort Steuerrecht hören, gehen wir nicht davon aus, dass jetzt irgendetwas Relevantes im Zusammenhang mit dem Zahlungsverkehr kommt. Natürlich werden für die Begleichung steuerlicher Verbindlichkeiten von allen Parteien Zahlungswege genutzt, was diese aber noch lange nicht zum Regulierungsgegenstand des Steuerrechts werden lässt. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass wir in Zukunft beim Thema Mehrwertsteuerrichtlinie der EU immer etwas genauer hinschauen müssen.
Überforderung als Hintergrund
Im Zuge des Aktionsplans zur Schaffung eines einheitlichen Raums der Mehrwertsteuer trifft die EU-Kommission zwangsläufig auf das Thema Mehrwertsteuerhinterziehung. Insbesondere die zunehmende Nutzung des elektronischen Geschäftsverkehrs für den grenzüberschreitenden Verkauf von Gegenständen und Dienstleistungen in den Mitgliedsstaaten verstärkt diese Situation.
Die Ermittlungsbehörden kämpfen mit einer defizitären Informationslage und eingeschränkten Informationsbeschaffungsmöglichkeiten. Die erforderlichen Informationen befinden sich oft im Besitz von Dritten (wie z. B. Zahlungsverkehrsdienstleistern), die meist in einem anderen Staat ansässig sind. Hinzu kommen ungenügende Verwaltungskapazitäten, die mit dem erforderlichen hohen Datenvolumen zur Aufdeckung des Mehrwertsteuerbetrugs überfordert sind. Dies betrifft sowohl den Austausch als auch die Verarbeitung entsprechender Datenmengen.
Die EU-Kommission spricht von einem dreistelligen Milliardenverlust von Steuereinnahmen (https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/bd27de7e-5323-11ec-91ac-01aa75ed71a1/language-en/). Um dieser Situation aus Sicht des europäischen Gesetzgebers entgegenzuwirken, wurden die bisher bestehenden Regelungen am 18.02.2020 entsprechend ergänzt.
Verordnung (EU) 2020/283 des Rates vom 18. Februar 2020 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 im Hinblick auf die Stärkung der Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden bei der Betrugsbekämpfung.
- Festlegung der Zusammenarbeit von nationalen Steuerbehörden, um Mehrwertsteuerbetrug aufzudecken und die Einhaltung der Mehrwertsteuerpflicht zu gewährleisten.
Richtlinie (EU) 2020/284 des Rates vom 18. Februar 2020 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG im Hinblick auf die Einführung bestimmter Anforderungen für Zahlungsverkehrsdienstleister.
Änderungen der Mehrwertsteuerrichtlinie:
- Zahlungsverkehrsdienstleister werden verpflichtet, Aufzeichnungen über grenzüberschreitende Zahlungen im Zusammenhang mit dem elektronischen Handel zu führen.
- Daten müssen den nationalen Steuerbehörden zur Verfügung gestellt werden. Dabei sind strenge Auflagen (unter anderem für den Datenschutz) zu berücksichtigen.
Richtlinie (EU) 2020/285 des Rates vom 18. Februar 2020 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Bezug auf die Sonderregelung für Kleinunternehmen und der Verordnung (EU) Nr. 904/2010 in Bezug auf die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und den Informationsaustausch zur Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Sonderregelung für Kleinunternehmen.
Neben weiteren Regelungen zur Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden erfolgten neue EU-weite Sonderregelungen für Kleinunternehmen:
- Kleinunternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedsstaaten (MS) dürfen künftig von der Kleinunternehmerregelung profitieren.
- Dies gilt, sofern ihr Jahresumsatz nicht maximal 85.000 Euro (Grenze wird durch MS festgelegt) überschreitet.
- Sofern bestimmte Voraussetzungen zutreffen, können dies sogar bis zu 100.000 Euro sein, sofern dieser Umsatz EU-weit erzielt wurde.
Die RL 2020/284/EU wird ab dem 01.01.2024 Zahlungsverkehrsdienstleister in die Pflicht nehmen, ihre Informationslage mit den Steuerbehörden zu teilen, d. h. die Informationslage aus Behördensicht zu verbessern. Dazu schreibt sie eine zentrale Meldung bestimmter Zahlungsverkehrsdaten durch Zahlungsverkehrsdienstleister vor, die Behörden im Verdachtsfall dazu nutzen sollen, ihre Ermittlung ohne Hindernisse durchzuführen.
CESOP – Zahlungsverkehrsdaten in der Vorratsdatenspeicherung
Das Stichwort für die Speicherung dieser gelieferten Daten ist CESOP (Central Electronic System of Payment Information). Ein zentrales System der EU, welches unter der Aufsicht von EUROFISC steht. Es soll die angelieferten Daten nicht nur aufnehmen, sondern auch durchsuchbar machen, intelligent nach redundanten Datensätzen suchen, Zusammenhänge sichtbar machen etc.
Zugriff werden nur die Steuerbehörden der Mitgliedsstaaten bekommen. Natürlich alles im Einklang mit sonstigen Rechten. Das Allgemeininteresse zur Schadensvermeidung durch Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe überwiegt hier das Recht des Einzelnen auf Datenvertraulichkeit.
Welche Zahlungen müssen von wem gemeldet werden?
Immer wenn Zahlungsverkehrsdienstleister Zahlungsdienste für mehr als 25 grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb eines Kalenderquartals an denselben Zahlungsempfänger unabhängig von der Höhe des Transaktionsbetrags leisten, sind diese zu melden. Die Daten sind min. drei Kalenderjahre aufzubewahren.
Europäische Zahlungsdienstleister
Erfolgt die Zahlung an einen Zahlungsempfänger in der EU, so liegt die Aufzeichnungspflicht beim Zahlungsdienstleister des Zahlungsempfängers.
Erfolgt die Zahlung von einem Zahler in der EU an einen Zahlungsempfänger in einem Nicht-EU-Land, so liegt die Aufzeichnungspflicht beim Zahlungsdienstleister des Zahlers.
Anliefern, aber wie?
Der inzwischen hoffentlich geneigte Leser wird sich sicherlich nun fragen: „Okay, eine neue Meldepflicht. Aber wie bekommen wir die Daten jetzt in CESOP?“. Die gute und die schlechte Nachricht ist, dass Sie als Zahlungsverkehrsdienstleister das gar nicht machen müssen, denn CESOP wird über die nationalen Behörden „gefüttert“. Hier ist auch schon klar, wie die Schnittstelle und das Format zur Anlieferung und das Datenformat aussehen. Unklar hingegen ist, und das ist jetzt die schlechte Nachricht, wie Zahlungsverkehrsdienstleister ihrerseits die Informationen an die nationalen Behörden übergeben müssen, nachdem sie diese aus ihren Systemen zusammengestellt haben (wenn sie diesen Stand heute überhaupt schon haben).
Richtlinien bedürfen der Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Sie unterscheiden sich also in ihrer Wirkungsweise (mittelbar) von Verordnungen. Diese gelten unmittelbar und müssen direkt angewendet werden. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bisher noch nicht mit den Änderungen der Mehrwertsteuerrichtlinie beschäftigt; hat also noch gar nicht mit der Umsetzung begonnen. Immerhin hat er noch bis zum 31.12.2023 (zur Erinnerung; ab dem 01.01.2024 soll es losgehen) Zeit und wartet momentan noch die weiteren Entwicklungen auf EU-Ebene ab (was nicht unbedingt verkehrt sein muss).
Im Zuge der Umsetzung steht es dem deutschen Gesetzgeber aber frei, ob er sich zu einer 1:1 Umsetzung entschließt oder eben auch strengere Regelungen trifft. Auch eine Abweichung vom Wortlaut der Richtlinie wäre legitim. Die Feinheiten könnten hier also noch in der Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber liegen.
Fazit
Das europäische Mehrwertsteuerrecht hat jetzt sehr wohl einen Bezug zum Zahlungsverkehr und nimmt Zahlungsverkehrsdienstleister in die Pflicht zur Informationsbeschaffung für die Steuerbehörden der Mitgliedsstaaten.
Unklar bleibt weiterhin die Gesetzeslage auf nationaler Ebene und die Art und Weise der Umsetzung. Auch ist noch nicht klar, auf welchem technischen Weg die Informationen an die verantwortliche nationale Behörde übergeben werden. Das heißt allerdings nicht, dass die Zahlungsverkehrsdienstleister nun die Hände in den Schoß legen können, denn Datenaggregierung, Orchestrierung und die Umsetzung zum Reporting sind nicht zu unterschätzen.
Autor: Benjamin Schreck
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